KIM HABERS Sinai (22.1-1.4.2015)

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Fotos: Tamara Lorenz

Kim Habers drawings are meticulous, most complex and appear to stretch out endlessly, not only spatially but also temporally – they are, however, never entirely finished but always worked and reworked, changed and further developed. Innumerable over-lappings and densifications of net-like structures span an illusionistic space most of which is also rendered in reality.

Due to the excessive building up of spatial structures the Netherland artist’s drawing motifs initially recall a fictional, futuristic world. Motifs resembling tracks, scaffolding, pipes, gearwheels, screws, cabling and other steel constructions suggest an industrial and infrastructural language of forms, however, the nets of lines do not follow a habitable arrangement, nor do they provide any form of orientation. In fact, certain formations repeat as if they were digitally reproduced like virtual systems of the information age. Occasionally letters or symbols, recognisable from comics, peel off architectonic structures and let the formal spatial concept slide into a semantic kind of reading.

By means of drawing Kim Habers works on your desires constructing a space so far, that she deconstructs her drawings. Using partial cut-outs and fine incisions along the scaffolds of lines she extends the paper into a three-dimensional image bearer and thus summons illusionism into reality. What drawing initially extends as a questioning from the realm of painting, flows and widens out into sculptural strategies. The lines become freed from the paper, the paper from the wall. Monumentally designated sheets of paper stretch out nonchalantly into the gravity of the space, the drawings are a fine three-dimensional net structure like the skeleton or scaffolding of a sculpture seeming to spread out parasitically into the space. Black arteries of various strengths, drawn with draughtsman’s pen or felt tip, are overlaid with white nets of papers, drawn spatiality, interleaved by real space. But not only the drawings become three-dimensional, the space also becomes an inexhaustible design medium, similar to Lucio Fontana’s “Tagli” where the endlessness emanates from the simultaneously real as well as semantic gaps. If one understands the drawing medium in the sense of 16th and 17th century Italian art theory and its defining of “disegno” – as the limit of a thing, which was understood as the distinction between a body and a non-body and is thus neither outside or inside – then the drawings define a nothingness. Fundamentally the cut is nothing more than the drawing of a line. In that the surface of the paper is penetrated thus creating an immaterial line, it exponentiates the drawn line and cut-out reciprocally here into the immaterial.

 

Kim Habers Zeichnungen sind akribisch, höchst komplex und scheinen sich nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich ins Unendliche auszubreiten – sind sie doch nie vollendet, sondern werden immer wieder be- und überarbeitet, verändert und weiterentwickelt. Unzählige Überlagerungen und Verdichtungen netzartiger Strukturen spannen einen illusionistischen Raum auf, der meist auch in die Realität übertragen wird.

Die zeichnerische Motivik der niederländischen Künstlerin lässt durch den exzessiven Aufbau räumlicher Strukturen zunächst an ein fiktionales futuristisches Weltbild denken. Durch Motive, die an Schienen, Gerüste und Rohre, Zahnräder, Schrauben und Leitungen und andere Stahlkonstruktionen erinnern, wird eine industrielle und infrastrukturelle Formensprache zwar andeutet, doch weder folgt sie einer bewohnbaren Ordnung, noch geben die Liniennetze irgendeine Art der Orientierung vor. Vielmehr wiederholen sich gewisse Formationen, als wären sie digital vervielfältigt, virtuelle Systeme des Informationszeitalters. Vereinzelt lösen sich Buchstaben oder Symbole, wie man sie aus Comics kennt, aus den architektonischen Strukturen und lassen die formalen Raumkonzepte in eine semantische Lesart übergleiten.

Kim Habers geht in Ihrem Wunsch, mittels der Zeichnung einen Raum zu konstruieren so weit, dass sie ihre Zeichnungen dekonstruiert. Mit partiellen Cut-Outs und feinen Schnitten entlang der Liniengerüste erweitert sie das Papier als dreidimensionalen Bildträger und holt den Illusionismus so in die Realität. Was die Zeichnung zunächst um Fragestellungen aus der Malerei erweitert, mündet in bildhauerischen Strategien. Die Linie wird vom Papier befreit, das Papier von der Wand. Monumentale bezeichnete Papierbahnen spannen sich ohne Rücksicht auf die Schwerkraft in den Raum, die Zeichnung wird als feines dreidimensionales Netzgebilde zum Gerüst oder Skelett einer Skulptur, die sich parasitär im Raum auszubreiten scheint. Schwarze Adern verschiedener Stärken, gezeichnet mit Feinliner und Filzstift, überlagern sich mit weißen Papiernetzen, gezeichnete Räumlichkeit verschränkt sich mit realem Raum. Doch nicht nur die Zeichnung wird dreidimensional, der Raum wird auch zum unerschöpflichen Gestaltungsmittel, ähnlich wie bei Lucio Fontanas „Tagli“, wo die Unendlichkeit der zugleich realen wie auch semantischen Lücke des Schnitts entspringt.

Begreift man das Medium Zeichnung im Sinne des in der italienischen Kunsttheorie des 16. und 17. Jahrhunderts definierten „disegno“ – als Grenze eines Dings, die als Unterscheidung eines Körper und eines Nichtkörpers verstanden wird und so weder außerhalb noch innerhalb ist, – definiert sie ein Nichts. Im Grunde ist auch der Schnitt nichts Anderes als das Ziehen einer Linie. Indem er die Papierfläche durchdringt und eine immaterielle Linie erzeugt, potenzieren sich gezeichnete Linie und Cut-Out hier gegenseitig ins Immaterielle.

http://www.kimhabers.com *1979, lebt und arbeitet in Zwolle, NL

2007-09 (MFA) Sandberg Instituut, Amsterdam

2003-07 (BA) ArtEZ, Zwolle